Zeitungskritik: Weihnachtsoratorium halbszenisch
Meinerzhagener Zeitung vom 19.12.2023
Kierspe – Ein hochkultureller musikalischer Hörgenuss wurde am frühen Abend des dritten Adventssonntags in der katholischen Kirche St. Josef geboten: Beim Konzert des Kiersper Chors Cantamus, der gemeinsam mit vier Gesangssolisten und dem Orchester Neues Bach-Collegium NRW auftrat, erklangen im Gotteshaus die ersten drei sowie die sechste Kantate des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach.
Dass die Kirche mit rund 350 Gästen überaus gut besucht war – etwa 130 Zusatzstühle wurden gestellt – freute natürlich die Sänger und Musiker. „Ich finde, es gibt keine andere Weihnachtsmusik, die so viel Fröhlichkeit verströmt, so viel Jubel und Freude und gleichzeitig Wärme“, sagte die Vorsitzende des Chors Cantamus, Verena Welschof, unserer Zeitung. „Deshalb kann für viele Leute gar nicht Weihnachten werden ohne dieses Stück. Das merken wir auch an der Nachfrage“, betonte sie.
Mit dem Unisono-Ausruf „Jauch-zet, froh-lo-cket!“ gab der Chor das Startsignal für die festliche Stimmung. Jedoch stand er hierbei noch nicht, wie sonst üblich, im Altarraum, sondern ging dabei zur Überraschung des Publikums durch die Zuschauerreihen. Singend näherten sich die Choristen – an den spielenden Musikern des Orchesters vorbei – den Podesten hinter dem Altar und symbolisierten mit diesem Auftritt, dass vorweihnachtliche Unruhe und Hektik abgelegt werden sollen.
Die Sänger und Musiker brillierten im Gotteshaus mit einer vitalen Aufführung, die von optischen Lichteffekten und halbszenischen Darstellungen der Arien untermalt wurde. Zudem sorgte Chorleiter Ben Köster als Dirigent für barocken Schwung und lebendige Tempi. Ebenso wusste Michael Otto an der Orgel mit dem einfühlsam gespielten Continuo zu überzeugen.
Eindrucksvolle Darbietungen brachten auch die vier Gesangssolisten des Abends zu Gehör. Tenor Ilja Aksionov, gebürtiger Litauer und fürs Konzert in Kierspe eigens aus seiner jetzigen Heimat London angereist, prägte jedes Wort als Evangelist und bestach zudem mit klaren Koloraturen und der wohl anspruchsvollsten Arie der Alten Musik, „Frohe Hirten“. Freilich nicht minder begeisterten bei ihren Gesangsparts Maria Portela Larisch (Sopran), Lea Becker (Alt) und Vincent Rendenbach (Bass) das Publikum mit ihren hervorragenden Stimmen.
Passend zum Einstieg ins Konzert gestaltete sich auch der Abschluss: Nach dem Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ verließ der Chor Cantamus den Altarraum in Richtung Ausgang, umgab dann – während sich die vier Solisten im Altarraum aufstellten – das gesamte Publikum für den jubilierenden Schlusschor: „Tod, Teufel, Sünd und Hölle sind ganz und gar geschwächt; bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.“
Stehende Ovationen mit lang anhaltendem, lautstarken Applaus wurden den Sängern und Musikern im Anschluss zuteil. Den einzigen Wermutstropfen bildete somit letztlich, dass wohl so mancher nicht in den Genuss des Weihnachtsoratoriums kommen konnte – standen doch am dritten Adventssonntag in Kierspe gleich drei weitere Adventskonzerte auf dem Programm. Über die Vermeidung einer solchen terminlichen Ballung hätten sich wohl nicht wenige Musikfreunde in der Volmestadt und ihrer Umgebung gefreut.